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EuGH: Insolvenzanfechtung bei grenzüberschreitenden Geschäften
Bekanntermaßen ist es für den Insolvenzverwalter bei in Deutschland durchgeführten Insolvenzverfahren besonders leicht, Gläubiger erfolgreich im Wege der Insolvenzanfechtung in Anspruch zu nehmen. Grundlage hierfür ist die ausgesprochen insolvenzverwalterfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der mit einer Vielzahl von Beweiserleichterungen dem Insolvenzverwalter die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen in besonderem Maße den Weg ebnet.
Für ausländische Gläubiger mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat gibt es nun einen Rettungsanker, wie der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 22. April 2021 (Aktenzeichen C-73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft) im Zusammenhang mit der Insolvenzanfechtung gegenüber einem niederländischen Binnenschiffer entschieden hat. Dieser hatte kurz vor Insolvenz seines Auftraggebers, einer Reederei, noch Zahlungen für durchgeführte Transporte erhalten, auf deren Rückzahlung er durch den Insolvenzverwalter der Reederei in Anspruch genommen wurde. Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 (nun wortgleich Art. 16 EuInsVO) eröffnet einem ausländischen Anfechtungsgegner die Verteidigungsmöglichkeit, sich aus Gründen des Vertrauensschutzes auf das Insolvenzanfechtungsrecht seines Heimatlandes zu berufen, wenn dort die Anfechtungsvoraussetzungen strenger sind als dies im Land des anfechtenden Insolvenzverwalters der Fall ist. Besonders gut funktioniert diese Verteidigungsmöglichkeit beispielsweise bei österreichischen Anfechtungsgegnern, weil in Österreich Anfechtungsklagen innerhalb eines Jahres nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben werden müssen. Häufig hat der Insolvenzverwalter in diesem Zeitraum noch nicht einmal die Anfechtungssachverhalte ermittelt.
Der niederländische Binnenschiffer verteidigte sich nun damit, dass nach niederländischem Recht die angefochtene Zahlung nicht anfechtbar sei. Der Insolvenzverwalter hingegen wandte ein, dass zwar für den durchgeführten Transport niederländisches Recht, für die Zahlung des deutschen Insolvenzschuldners aber deutsches Recht anzuwenden sei. Der EuGH hatte nun auf Vorlage des BGH entschieden, dass das auf den Transportvertrag anzuwendende niederländischem Recht auch für die Zahlung heranzuziehen sei. Dies bedeutet, dass das deutsche Gericht nun darüber befinden muss, ob die angefochtene Zahlung nach niederländischem Recht ebenfalls der Insolvenzanfechtung unterliegt. Die Chancen für den niederländischen Binnenschiffer stehen hier sehr gut.
Die EuGH-Entscheidung eröffnet für Unternehmen mit ausländischen Konzerngesellschaften die Möglichkeit, bei Geschäftspartnern mit unsicherem Zahlungsverhalten künftig die Belieferung oder Leistungserbringung von solchen Konzerngesellschaften durchführen zu lassen, an deren Sitz das Insolvenzanfechtungsrecht für Gläubiger günstiger ist. Wichtig ist in diesem Fall natürlich, die Verträge so auszugestalten, dass für das Vertragsverhältnis tatsächlich die Rechtsordnung der ausländischen Konzerngesellschaft vereinbart wird, die die Leistungen erbringt und die potenziell anfechtbaren Zahlungen erhält. Ferner muss natürlich auch geprüft werden, ob das Insolvenzanfechtungsrecht in dem betreffenden Staat tatsächlich für den Gläubiger günstiger ist. Dies ist aber – wie eingangs ausgeführt – in fast allen Mitgliedstaaten der EU der Fall. Nach § 339 Insolvenzordnung lässt sich dieser Rechtsgedanke vermutlich auch auf andere ausländische Gesellschaften mit Sitz außerhalb der EU anwenden.