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Neue Regelungen im Anfechtungsrecht: Insolvenzrechtsexperten diskutieren Reformgesetz
Knapp zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Insolvenzanfechtung und erstmals seit Bestehen der neuen Rechtsvorschriften trafen sich jüngst Top-Experten auf dem Gebiet des Anfechtungsrechts zum PraxisFORUM Insolvenzanfechtung in Frankfurt.
Die Meinungen, wie das Reformgesetz als Ganzes zu bewerten sei, gingen erwartungsgemäß weit auseinander, die Teilnehmer waren sich aber darin einig, dass man nunmehr nicht einfach wieder zum normalen Tagesgeschäft übergehen könne.
Prof. Dr. Godehard Kayser, Vorsitzender des für das Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH), sagte hierzu, es sei nun Aufgabe der Justiz, an der praktischen Umsetzung der Rechtsprechung mitzuwirken, indem zahlreiche „neue unbestimmte Rechtsbegriffe mit Leben zu füllen“ seien. Beispiele für derartige unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Auslegung durch die Rechtsprechung bedürften, seien insbesondere die in § 142 InsO erwähnte „unlautere“ Handlung des Schuldners oder die im selben Paragraphen genannten „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“. Kayser kündigte an, sein Senat werde hierbei „normative Grenzen“ setzen und sich nicht ohne eigene Wertung an vermeintlichen oder tatsächlichen Gepflogenheiten in der Praxis orientieren. Welche Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs im Rahmen der Bewertung von Anfechtungsfällen Anerkennung finden könnten, werde sich an den von der Rechtsprechung für berücksichtigungsfähig gehaltenen Maßstäben orientieren müssen.
Skeptisch äußerten sich Dr. Bero-Alexander Lau und Dr. Marlene Maesch von White & Case. Sie sorgen sich, dass „sich die Instanzgerichte nun ermutigt fühlen könnten, vor dem Hintergrund der Beweislastumkehr nach § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO Gläubigern künftig weit entgegenzukommen“.
Anders sieht das etwa Ralf Zuleger von der UniCredit Bank München AG. Am Rande seines Vortrages zu anfechtungsrechtlichen Aspekten von Überbrückungs- und Sanierungskrediten verwies er noch einmal auf die starke Betroffenheit der oft mittelständischen Gläubiger von den Unwägbarkeiten der Vorsatzanfechtung. Er begrüße die der Reform des Anfechtungsrechts und insbesondere die neu geschaffenen Möglichkeiten im Bereich der Zahlungsvereinbarungen und des Bargeschäfts.
RA Lutz Paschen und RA Michael Schmidt schilderten den Teilnehmern anhand eindrucksvoller Beispiele aus ihrer täglichen Praxis nochmals die Sicht der Gläubiger. Insbesondere zeigte ihr Vortrag auf, wie sich die bisherige Handhabung des Themas durch den Bundesgerichtshof auf das Wirtschaftsleben ausgewirkt hat.
Ein Schwerpunkt bildete dabei die Darstellung der volkswirtschaftlichen Folgen für die Vergabe von Lieferantenkrediten, der Auswirkungen auf die Geschäftsmoral und anwaltliche Beratungspraxis sowie die anhand konkreter Beispiele dokumentierten Missbrauchsfälle.
Paschen und Schmidt gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Reform nicht nur Verbesserungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Zahlungserleichterungen schaffen, sondern auch zu einer deutlichen Verbesserung der Rechtssicherheit bei Bargeschäften führen werde. Sie lobten überdies den Gewinn an Planungssicherheit durch die Verkürzung der Anfechtungsfrist auf vier Jahre für Deckungsgeschäfte. Schließlich äußerten sie die Erwartung, dass die Reform ganz allgemein dazu führen werde, dass die Instanzgerichte ermuntert würden, von der oft praktizierten sklavischen Anwendung der Leitsätze der Rechtsprechung des BGH Abstand zu nehmen, zugunsten der eigentlich vom BGH geforderten Gesamtabwägung der Umstände im Einzelfall.