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Insolvenzanfechtung: Bundesgerichtshof rudert weiter zurück
Neues BGH-Urteil zur Vorsatzanfechtung § 133 Abs. 1 InsO
Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in seinen Entscheidungen vom 3. März 2022 (IX ZR 78/20) und vom 23. Juni 2022 (IX ZR 75/21) sich mit der gesetzlichen Tatsachenvermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO befasst hatte, greift er diesen Gesichtspunkt in einer erst jetzt im Januar 2024 veröffentlichten Entscheidung vom 26. Oktober 2023 (IX ZR 112/22) erneut auf.
Damit bestätigt sich unsere seinerzeit veröffentlichte Einschätzung, wonach der Bundesgerichtshof dem Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wieder mehr Bedeutung verschaffen möchte. Es darf davon ausgegangen werden, dass die aufeinanderfolgenden Wechsel im Vorsitz des für die Insolvenzanfechtung zuständigen IX. Zivilsenats in den letzten drei Jahren für diese Rechtsprechungsänderung zum Nachteil der Anfechtungsgegner verantwortlich zeichnen.
Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes
Nach der Regelung im § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird beim Anfechtungsgegner Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Insolvenzschuldners vermutet, wenn er wusste, dass beim Insolvenzschuldner Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Auf die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann hingegen nur noch in den Fällen abgestellt werden, in denen der Anfechtungsgegner keine direkte Gegenleistung für die angefochtene Rechtshandlung erbracht hat. In diesem Punkt hat die Reform des Anfechtungsrechts vom 5. April 2017 die Rechtsposition von Lieferanten und Dienstleistern erfreulicherweise etwas verbessert.
Viele Gläubiger waren nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 6. Mai 2021 (IX ZR 72/20) davon ausgegangen, dass der Anwendungsbereich der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO jetzt nur noch auf Ausnahmefälle beschränkt sei.
Die beiden Entscheidungen vom 3. März 2022 und vom 23. Juni 2022 hatten zwar für diejenigen Gläubiger, die Zahlungen aufgrund eines schlüssigen Sanierungskonzeptes erhalten haben, etwas mehr Rechtssicherheit gebracht, gleichzeitig aber bereits deutlich betont, dass der Anwendungsbereich des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht eingeschränkt werden sollte.
Eckpunkte der BGH Entscheidung IX ZR 112/22
Nun befasste sich der Bundesgerichtshof in der jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 26. Oktober 2023 nochmals ausführlich mit der Reichweite der Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO.
Die Eckpunkte dieser Entscheidung sind eindeutig: kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners, streitet die Tatsachenvermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO für den anfechtenden Insolvenzverwalter, d.h. er hat den Nachweis geführt, dass der Anfechtungsgegner den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte.
Dieser muss nun seinerseits die gesetzliche Vermutung widerlegen und den Vollbeweis dafür führen, dass er den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners nicht kannte. Hierzu muss er zu Überzeugung des Gerichtes darlegen, dass er trotz erkannter Zahlungsunfähigkeit davon ausgehen durfte, dass der Schuldner in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit seine übrigen bereits vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger wird vollständig befriedigen können. Allein dies stellt schon für einen außenstehenden Gläubiger, der die wirtschaftliche Situation seines Schuldners erfahrungsgemäß nicht kennt, extrem hohe Hürden auf.
Der Bundesgerichtshof hat aber noch eine weitere Hürde hinzugefügt, die kaum noch zu nehmen sein dürfte: der Anfechtungsgegner darf diese Prognose nur auf einer hinreichend verlässlichen Beurteilungsgrundlage anstellen. D. h. mit anderen Worten, er darf nicht vagen Auskünften des Schuldners vertrauen, auch eine bloße Hoffnung, dass die übrigen Gläubiger auch befriedigt werden, lässt der BGH nicht ausreichen. Verlangt wird vielmehr eine ausreichend verlässliche Beurteilungsgrundlage; wann diese gegeben ist, überlässt der Bundesgerichtshof erst einmal den Instanzgerichten. Im Ergebnis bedeutet dies, dass – wenn erst einmal der Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zugunsten des Insolvenzverwalters eingreift – es dem Anfechtungsgegner nur noch in Ausnahmefällen gelingen wird, diese Vermutung zu widerlegen, beispielsweise wenn ein belastbares Sanierungskonzept vorliegt (zu dessen Anforderungen: vergleiche BGH, Urteile vom 3. März 2022 – IX ZR 78/20 und vom 23. Juni 2022 IX ZR 75/21).
Fazit
Ob in solchen Fällen die zugunsten des Anfechtungsgegners in § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO aufgestellte Vermutung eingreift, dass der Anfechtungsgegner bei Abschluss einer Zahlungsvereinbarung oder Gewährung einer Zahlungserleichterung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte, hat der BGH bislang nicht entschieden. Ebenso lässt der Bundesgerichtshof offen, welchen Zeitraum er mit der Formulierung „in der zur Verfügung stehenden Zeit“ bis zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger zu Grunde legen will. Die Rechtsunsicherheit für Gläubiger wird damit wieder deutlich größer.
Was bedeutet dies für die Geschäftspartner von Unternehmen, die sich in Zahlungsschwierigkeiten befinden?
Sie sollten versuchen, die Voraussetzungen des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO herbeizuführen, um zumindest diese gesetzliche Tatsachenvermutung zugunsten des Anfechtungsgegners in Anspruch nehmen zu können.
Generell ist zu empfehlen, bei Zahlungsschwierigkeiten eines Geschäftspartners für die Fortführung der Geschäftsbeziehung auf das sogenannte Bargeschäft (§ 142 InsO) umzustellen und etwaige Rückstände in eine Zahlungsvereinbarung zu überführen. Dies muss aber rechtssicher ausgestaltet werden, um die gewünschte Privilegierung im Anfechtungsfall tatsächlich in Anspruch nehmen zu können. Unsere Insolvenzrechtsexperten stehen Ihnen hierbei gerne zur Seite.