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Modernisierung des Zivilverfahrens: Digitalisierung im Deutschland-Tempo
Ein Appell für mehr Pragmatismus
Das Bundesjustizministerium hat sich auf die Fahnen geschrieben, als agiler Initiator die umfassende Digitalisierung der Justiz voranzutreiben. Der in diesem Rahmen neueste Versuch ist der Referentenentwurf zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit, welcher inzwischen auch als Gesetzentwurf der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht wurde.
Das Verfahren soll im „Reallabor“ erprobt werden. Vorgesehen ist hierzu, dieses neue Angebot zunächst an ausgewählten Amtsgerichten neben den gängigen Prozesswegen anzubieten: ein digital geführtes Gerichtsverfahren für jedermann über eine seitens des Bundes entwickelte Plattform.
Dieses Verfahren soll „zunächst 10 Jahre“ den teilnehmenden Amtsgerichten (aktuell elf „Pilotgerichte“) testweise angeboten werden. Hierbei sollen „Erkenntnisse gesammelt“ und ein dauerhaftes Online-Verfahren entwickelt und erprobt werden. Der Gesetzentwurf soll mit dieser Vorgehensweise einen ersten Meilenstein in einer „Reallabor-Strategie“ der Bundesregierung darstellen.
Ministerium setzt auf den Turbo „Reallabor“, wie wär´s mit Pragmatismus?
Keine Frage: Das Ziel, das Zivilverfahren weiter in den digitalen Raum zu verlagern, ist zu begrüßen. Auch könnte das vorgesehene Verfahren für ohne Anwälte geführte Gerichtsprozesse, bei denen die Streitwerte vergleichsweise gering sind, eine Vereinfachung und Beschleunigung bringen.
Allerdings zeigt schon die vorgesehene „Testphase“ von 10 (in Worten: zehn) Jahren erneut, wie schwer sich Deutschland mit der überfälligen Digitalisierung auch und gerade in der Justiz tut.
In der weit überwiegenden Zahl der streitigen Fälle vor deutschen Zivilgerichten – denen mit anwaltlicher Vertretung beider Parteien – würde sich durch das vorgestellte zusätzliche Online-Verfahren auch nur wenig ändern:
Der anwaltliche Schriftverkehr mit dem Gericht erfolgt bereits jetzt über das elektronische Anwaltspostfach. Hinzu käme hier nur eine Plattform zur gemeinsamen Bearbeitung von Dokumenten zwischen den Parteien. Die mündliche Verhandlung lässt sich ebenfalls schon länger digital führen. Das geht zwar nur, wenn das Gericht mitspielt, zwischenzeitlich ist dazu jedoch eine erfreulich große Zahl von Richter:innen bereit.
PASCHEN macht hiervon in geeigneten Fällen stets Gebrauch; die Anzahl der hier umfassend digital geführten Zivilprozesse konnte bereits auf stattliche 43 % der Verfahren gesteigert werden, Tendenz weiter steigend. Die hierbei entstehenden Effizienzgewinne für alle Beteiligten, einschließlich des Klimas, sind enorm.
Um Längen einfacher und ein Jahrzehnt schneller ließe sich die konsequente Digitalisierung des Zivilprozesses durch die Schaffung eines vom Gericht verbindlich zu beachtenden Anspruchs der Parteien auf digitale Verhandlung ohne umfangreiche Ausnahmen vorantreiben. Eine entsprechende Regelung auf Bundesebene hätte überdies auch den Nebeneffekt, dass die Länder gezwungen wären, die ihnen unterstehende Justiz umfassend mit der nötigen Technik auszustatten.
Dass eine entsprechende Änderung schnell und einfach umzusetzen wäre, zeigt der Umstand, dass der Gesetzgeber die entsprechende Regelung in § 128a ZPO gerade erst geändert hat. Fun fact: Die Vorschrift hat nun sieben statt drei Absätze, eine digitale Verhandlung kann aber noch immer ohne ernstlichen Begründungsaufwand vom Gericht abgelehnt werden.
Das „Reallabor“ als Symptom
Das zum Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit geplante Gesetz ist beispielhaft für den überwiegenden Teil der Vorhaben des Bundesministeriums der Justiz zur Digitalisierung.
Gleichermaßen kostspielig und langwierig gestaltet sich etwa das Vorhaben der Entwicklung einer bundeseinheitlichen „Justizcloud“. Hierzu wurde bereits vor inzwischen anderthalb Jahren beschlossen, dass das Bundesjustizministerium die „Machbarkeit“ einer solchen Cloud untersuchen solle, zu einem Ergebnis ist man dort im Rahmen der Untersuchung jener aber immer noch nicht gelangt.
Auch die vom BMJ verantwortete Einrichtung einer digitalen Rechtsantragstelle dauert inzwischen seit 2020 an und hat nach Untersuchung der Machbarkeit, Konzeption und Erkundung nach über 4 Jahren zum Ergebnis, dass seit neuestem ein einziger Antrag, nämlich jener auf Beratungshilfe, digital ausgefüllt werden kann.
Ein ähnliches Schicksal wird wohl das Vorhaben der Einrichtung einer Vollstreckungsdatenbank zur papierlosen Zwangsvollstreckung ereilen. Hierzu wurden seitens des BMJ bisher allein „Vorbereitungen zum Start der Entwicklung“ unternommen, welche die Erarbeitung eines Konzepts zur Einrichtung einer Vollstreckungsdatenbank ermöglichen sollen. Eine Änderung des Umstandes, dass ein Urteil zur Vollstreckung bei allen Stellen stets in schriftlicher Original-Form vorliegen muss, was zu einem regen Postverkehr zwischen allen Beteiligten führt, ist durch die vorgesehene Einrichtung einer Vollstreckungsdatenbank somit wohl in den nächsten Jahren nicht absehbar.
Appell an die Parlamentarier
Dass es auch anders geht, zeigt der Gesetzentwurf zur weiteren Digitalisierung der Zwangsvollstreckung. Dieser sieht die kleine und von PASCHEN bereits seit Jahren zu jeder Gelegenheit angeregte Änderung vor, die Übersendung einer elektronischen Kopie des Titels an Vollstreckungsgerichte und Gerichtsvollzieher zumindest durch Rechtsanwälte als ausreichend anzusehen. Bisher gehen im weitgehend digitalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren regelmäßig mehrere Wochen verloren, weil die sonstigen Vollstreckungstitel auf Anforderung des Vollstreckungsorgans im Original per Post übersandt werden müssen.
Durch den Wegfall dieses Medienbruches wird nicht nur wertvolle Zeit gespart, sondern auch die kostbaren Personalressourcen geschont, die an anderer Stelle so dringend gebraucht werden.
Der Entwurf wurde bereits im März dieses Jahres vorgelegt und seither ohne erkennbares Bemühen um Geschwindigkeit im Gesetzgebungsverfahren diskutiert. Die zwischenzeitlich erfolgte Überweisung an den Rechtsausschuss des Bundestags bietet die Chance für den Gesetzgeber, endlich die nötige Tatkraft zu zeigen und das Vorhaben schnell zu Ende zu bringen. Dass das eigentlich geht, hat das Parlament während der Pandemie eindrucksvoll bewiesen.
Das zähe Vorankommen auch betreffend diese minimalinvasive Änderung zeigt überdeutlich das deutsche Problem: Endlose Diskussionen über die perfekte Gesamtlösung statt eines zügigeren, mutigeren und nachhaltigen Voranschreitens in kleineren Schritten.
Ein derartiges Vorgehen, welches den Apparat fordert, aber nicht überfordert ist aus unserer Sicht der richtige Weg, um auch die Digitalisierung der Justiz in der nötigen Geschwindigkeit umzusetzen. Das ist unsere Vorstellung von Tempo, in dem Land, welches weltweit dafür bekannt ist, hierfür kein Limit zu setzen.
Unser PASCHEN Team Handel & Dienstleistung hält Sie über die weitere Entwicklung in diesem Bereich auf dem Laufenden.