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Geplante EU-Zahlungsverzugs-Verordnung heftig in der Kritik
Die EU-Kommission hat im September 2023 den Entwurf für eine neue EU-Zahlungsverzugs-Verordnung vorgelegt, die sich aktuell in der Diskussion befindet. Hauptmotiv ist nach dem Papier die Behebung vermeintlicher Mängel der aktuellen Version der Zahlungsverzugs-Richtlinie.
Nach dem Entwurf soll die Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zuverlässige Zahlungsströme stärken, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft und dabei vor allem der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) zu stärken. Letztere sollen insbesondere vor Asymmetrien in der Verhandlungsmacht geschützt werden, in denen nach der Begründung der Verordnung die Hauptursache von Zahlungsverzögerungen zu sehen sei.
Das vorgesehene Regelwerk schaffe eine Verbesserung in Sachen Fairness im Geschäftsverkehr, solle die Widerstandsfähigkeit von KMU und Lieferketten im Allgemeinen stärken und nicht zuletzt auch der Förderung der Digitalisierung und des Kreditmanagements von Unternehmen dienen.
Der neue Vorschlag beruhe u.a. auf den Ergebnissen einer Evaluierung der bestehenden Zahlungsverzugs-Richtlinie im Jahre 2015, die ergeben habe, dass deren Regelungen zwar überwiegend begrüßt wurden, zugleich aber betroffene Gläubiger oft aus Angst vor der wirtschaftlichen Übermacht ihrer Geschäftspartner davon abgehalten würden, die ihnen eingeräumten Rechte auch tatsächlich zu beanspruchen.
Die Ablösung der bestehenden Richtlinie durch eine unmittelbar anwendbare Verordnung ohne die Notwendigkeit einer Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber schaffe zügig ein EU- weit einheitliches und verbindliches Regelwerk.
Wichtigste Regelungsinhalte der geplanten EU-Zahlungsverzugs-Verordnung
Die vorgesehenen Neuerungen sollen ausschließlich für Geschäfte zwischen Unternehmen gelten (Art. 1). Besonders hervorzuheben sind folgende geplanten Regelungen:
- Zwingende gesetzliche Begrenzung der Zahlungsfristen auf 30 Tage bei B2B-Geschäften (Art. 3, 9).
- Analog zu 1.: Überprüfungs- oder Abnahmeverfahren als Voraussetzung einer Zahlungsverpflichtung sollen – ohne Ausnahme – maximal 30 Tage dauern dürfen (Art. 3, 9)
- Verbindliche Verpflichtung gesetzliche Verzugszinsen einzufordern (Art. 5, 9)
- Gläubiger erhalten einen Anspruch auf pauschale Entschädigung ihrer Beitreibungskosten von mindestens € 50,00 je Geschäftsvorgang (Art. 8, 9) auf deren Geltendmachung sie nicht verzichten dürfen.
- Mitgliedsstaaten benennen Stellen, die für die Durchsetzung des Gesetzes zuständig sind, von Amts wegen oder infolge von Beschwerden Untersuchungen durchführen und befugt sind, Verwaltungsaktionen zu verhängen und die Namen von Zuwiderhandelnden zu veröffentlichen (Art. 13,14,15)
- Bei öffentlichen Bauaufträgen müssen die Auftraggeber überprüfen, ob die Zahlungen an den Hauptauftragnehmer an die direkten Unterauftragnehmer weitergeleitet wurden (Art. 4)
- Die Mitgliedsstaaten werden verpflichtet, ein nationales Mediationssystem zur (freiwilligen) Beilegung von Zahlungsstreitigkeiten im Geschäftsverkehr einzurichten (Art. 16)
- Mitgliedsstaaten fördern die Verfügbarkeit der Digitalisierung des Kreditmanagements und Schulungen in den Bereichen Kreditmanagement und Finanzwissen (Art. 17)
Bewertung aus Gläubigersicht & aktueller Stand der intensiven Diskussion
Auf den ersten Blick erfährt die Rechtsposition von Gläubigern durch den Entwurf eine vor dem Hintergrund der zahlreichen maximal schuldnerfreundlichen EU- Regelungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht gleichsam überfällige Stärkung. Der Preis hierfür ist allerdings ein zum Teil in seiner Reichweite zweifelhafter Eingriff in die Vertragsfreiheit, dessen Nebenwirkungen für die Möglichkeiten der Unternehmensfinanzierung über die Nutzung von Lieferantenkrediten von den Initiatoren des Entwurfs offenkundig völlig unterschätzt wird.
Vor allem die in Art. 3 vorgesehenen Neuregelung, wonach sowohl für vereinbarte Zahlungsziele als auch für Prüfungs- und Abnahmefristen zwingend (Art. 9) eine maximale Frist von 30 Tagen zugelassen werden soll, steht hier im Mittelpunkt. In der Absicht, KMU´s in der Gläubigerrolle vor unfairen Praktiken übermächtiger Verhandlungspartner zu schützen, übersieht der Vorschlag, dass gerade diese regelmäßig von der Gewährung längerer Zahlungsziele durch ihre Lieferanten nicht nur profitieren, sondern auf diese unbürokratisch zu erlangende Finanzierung für ihr wirtschaftliches Überleben regelmäßig unbedingt angewiesen sind.
Aufgrund der dramatischen Bedeutung eines Funktionierens des Lieferantenkredits als Finanzierungsquelle hat sich in dieser Frage sogar eine Allianz aus den wichtigsten deutschen Wirtschaftsverbänden dem BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) e. V., dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V., dem Deutsches Aktieninstitut, der DIHK, dem GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., dem Handelsverband Deutschland e.V. (HDE), dem Markenverband und dem MITTELSTANDSVERBUND mit einer gemeinsamen Erklärung an die Entscheidungsträger gewandt.
Neben dieser von den Entwurfsverfassern übersehenen existentiellen Folgen einer derart starren Regelung darf aber auch gefragt werden, ob angesichts des zurecht beklagten Überbordens der Bürokratie wirklich die in Art. 13 ff vorgesehene weitere Behörde benötigt wird, um die Einhaltung des Regelwerks zu überwachen.
Zu begrüßen ist aus unserer Sicht hingegen die in Art. 5 Abs. 3 i.V.m. 9 vorgesehene Verpflichtung zur Einforderung gesetzlicher Verzugszinsen und die Verbesserung der Regelungen zur Erstattung der Beitreibungskosten in Art. 8. Gleiches gilt für die Regelungen zur Stärkung der Digitalisierung und Förderung der Ausbildung im Kreditmanagement gemäß Art. 17.
Eine Entscheidung zu den streitigen Fragen steht noch aus.
Angesichts der zu befürchtenden drastischen Folgen für den Mittelstand könnte die Bedeutung einer europaweit unmittelbar geltenden Verordnung zu diesen Themen kaum größer sein. Das Thema stand am 22. Februar 2024 zur Abstimmung auf der Tagesordnung des Binnenmarktausschusses. Die dort diskutierten Änderungsanträge sehen zur zentralen Frage des maximal zulässigen Zahlungsziels vielfach zumindest eine Erweiterung auf 60 Tage vor, zum Teil wird auch eine Differenzierung nach Unternehmensgrößen vorgeschlagen oder eine Beschränkung auf die öffentliche Hand als Schuldner. Da weiterer inhaltlicher Klärungsbedarf besteht, wurde die Abstimmung zunächst auf die zweite Märzhälfte verschoben.
Update März 2024
In der Sitzung des Binnenmarktausschusses am 20. März 2024 hat man sich auf eine gemeinsame Position geeinigt. Der entsprechende Vorschlag wurde mit 33 Stimmen bei 10 Ablehnungen und 2 Enthaltungen angenommen. Erfreulicherweise hat die deutliche Kritik aus den Mitgliedsstaaten dabei Wirkung gezeigt. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Festschreibung der allgemeinen Zulässigkeit von bis zu 60 Tagen Zahlungsziel im B2B- Bereich, bei entsprechender vorheriger Vereinbarung und sogar bis zu 120 Tagen für Saisonartikel und Produkte mit niedrigem Warenumschlag, wobei hierfür konkrete Produktgruppen festgeschrieben werden sollen.
Update April 2024
Am 23. April 2024 war das Thema nun in Straßburg auf der Tagesordnung des EU-Parlaments. Abgestimmt wurde dabei über einen nochmals leicht modifizierten Entwurf, der in erster Lesung mehrheitlich angenommen wurde.
Hier der aktuell beschlossene Text Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. April 2024 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (COM(2023)0533 – C9-0338/2023 – 2023/0323(COD))
Die wichtigsten Änderungen in der angenommenen Fassung stellen sich dar wir folgt:
Artikel 3 Absatz 4 a (neu): Zur Verbesserung der Zahlungspraxis öffentlicher Stellen gegenüber Unternehmen (G2B) ist jetzt vorgesehen, dass auf Antrag bei der öffentlichen Stelle, die den fälligen Betrag schuldet, die Verrechnung des fälligen Betrags mit ausstehenden Beträgen des Gläubigers bei derselben öffentlichen Stelle möglich ist.
Artikel 5 Absatz 3: Das Verbot auf Verzugszinsen zu verzichten soll jetzt nur für den Fall gelten, dass es sich bei dem Schuldner nicht um eine öffentliche Stelle oder ein Großunternehmen handelt.
Artikel 8 Absatz 1: Der Schuldner soll gemäß der überarbeiteten Version verpflichtet sein, eine Entschädigung für Beitreibungskosten zu zahlen, die wie folgt gestaffelt ist:
- 50 EUR für jeden einzelnen Geschäftsvorgang mit einem Wert bis 1.500 EUR,
- 100 EUR für jeden einzelnen Geschäftsvorgang mit einem Wert ab 1.500 bis 15.000 EUR
- 150 EUR für jeden einzelnen Geschäftsvorgang über 15.000 EUR
Artikel 8 Absatz 3: Sofern es sich bei dem Schuldner um eine öffentliche Stelle oder ein großes Unternehmen handelt, soll der Gläubiger nicht auf sein Recht auf die pauschale Entschädigung verzichten können.
Artikel 9: Einschränkungen der „Abtretung des Kredits“ zur Erlangung von Finanzierungen durch Banken oder Factoringunternehmen sowie des „Rückgriffs auf einen gerichtlichen Zahlungsbefehl“ sollen jetzt EU-weit unwirksam sein.
Artikel 12: Für unbestrittene Geldforderungen soll nach dem jetzigen Text sichergestellt werden, dass Gläubiger einen vollstreckbaren Titel binnen 60 Kalendertagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags bei Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde erhalten.
Artikel 14 Absatz 1: Die verpflichtend einzurichtenden Durchsetzungsbehörden sollen entsprechend der geänderten Version die Befugnis erhalten, Verstöße gegen die Verordnung festzustellen und den Schuldner zur Zahlung von Verzugszinsen und/oder zur Leistung von Entschädigung an den Gläubiger zu verpflichten.
Artikel 19: Für Selbständige & Kleinstunternehmen als Schuldner soll die Verordnung nach den jetzigen Vorstellungen erst 24 Monate nach Inkrafttreten gelten, für alle anderen nach Artikel 20 18 Monate nach Inkrafttreten
Bewertung des aktuellen Stands
Trotz erfolgter Nachbesserung lässt der beschlossene Text noch immer wenig praktischen Sachverstand der EU-Parlamentarier erkennen. Zwar wurde, wie die Anmerkungen zum Abtretungsverbot im Zusammenhang mit Finanzierungsfragen zeigen, wohl endlich erkannt, dass das Vorhaben erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung hat, jedoch ignoriert der Verordnungstext noch immer die schwerwiegenden Folgen für eines der wichtigsten Finanzierungsinstrumente gerade der kleinen und mittelständischen Unternehmen: den Lieferantenkredit.
Auch scheint die berechtigte Kritik der Wirtschaft an einer völlig überbordenden Bürokratie noch immer nicht angekommen zu sein, wenn ohne ersichtlichen Grund die Pflicht zur Errichtung einer neuen Durchsetzungsbehörde für die Mitgliedstaaten geschaffen wird, obgleich die für diese vorgesehen Aufgaben, insbesondere betreffend die Verzugszinsen und Beitreibungskosten, schon bisher von den Gerichten wahrgenommen werden und dort bestens aufgehoben sind.
Da die endgültige Verabschiedung der Verordnung aber erst nach der Europawahl im Juni 2024 durch das neu konstituierte Parlament erfolgen kann, bleibt aber noch die Hoffnung auf weitere Verhandlungen, Nachbesserung oder gar eine gänzliche Absage.
Wir halten Sie auf dem Laufenden.